Die Wege der Wut
Aktualisiert: 16. Okt.
TCM trifft auf Nervensystem: Weshalb Wut der Schlüssel zu Wachstum ist und wie du einen konstruktiven Zugang zu deiner Wut findest.
Lass uns über Wut sprechen. Die starke Emotion ist wegweisend für Veränderung und werden dennoch allzu oft als primitiv und plump abgetan: Wer nicht »cool« bleibt, hat sich nicht im Griff. Doch weshalb ist Wut ein essenzielles Gefühl und warum ist es wichtig, einen gesunden Zugang zu seiner Wut zu haben?
Wut hat eine explorative Kraft, eine Power, die sich nach außen richtet und Dinge in Bewegung setz. Um ein besseres Verständnis für die Wirkung und Auswirkung von Wut zu erlangen, ist es hilfreich, verschiedene Perspektiven zu betrachten, um einen Überblick zu bekommen.
In diesem Artikel erfährst du mehr über die Theorie der chinesischen Medizin bezüglich Wut, einschließlich der Betrachtung von Bedürfnissen und Gefühlen sowie den Auswirkungen von Wut auf das Nervensystem.
Was ist Wut?
Wut ist eine gesunde und natürliche Reaktion auf ein (über-)forderndes Erlebnis. Keine Wut zu spüren, ist die Folge von einem dekonstruktiven und ungesunden Zugang zu deinen starken Gefühlen.
Wut steigt immer dann auf, wenn du auf inneren oder äußeren Widerstand stößt und die Energie und Power nicht verwandelt oder aufgelöst werden kann. Dafür gibt es vielfältige Ursachen und jeder hat ganz individuellen Auslöser. Hier sprechen wir über die sogenannte Frustrationstoleranz, die je nach Entwicklung, Belastung, eigener Kapazität und aktueller Verfassung sehr unterschiedlich empfunden wird.
Doch was ist der Auslöser von Wut?
➔ Grenzüberschreitung und (emotionale) Bedrohung (»Ich bin nicht sicher«)
➔ Ablehnung und Zurückweisung (»Ich bin falsch«)
➔ Machtlosigkeit und Ohnmacht (»Ich bin hilfslos«)
Dabei ist die Bewertung des Auslösers so individuell, wie der Auslöser selbst. Was für die eine unmittelbar zu Ärger und Frust führt, ist für die andere nicht der Rede wert. Wichtig ist hier zu verstehen, dass es nicht darum geht, dem Leben mit Gleichgültigkeit zu begegnen und den Auslöser zu eliminieren. Viel wichtiger ist es, eine gesunde Reaktion und Zugang zur Wut (Impulskontrolle) zu erlernen, um sich selbst in diesem starken Gefühl zu halten, auch wenn man nichts an der Situation verändern kann. Hierbei spricht man von Containment.
Wut ist nicht gleich Wut.
Wut kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Um die Dynamik dahinter und deine Wutreaktion zu verstehen, lohnt sich der Blick in die chinesische Medizin und ins Nervensystem.
Die Sicht der chinesischen Medizin auf Wut, Zorn und Frustration
Wut wird in der chinesischen Medizin über die Leber verarbeitet. Sie wird auch als General des Körpers gehandelt. Das Herz, der Kaiser, gibt die Richtung vor, während der General die Truppen zusammen zieht und das Ziel in Angriff nimmt. Ist deine Leber und der dazugehörige Funktionskreislauf im Gleichgewicht, dann fällt es dir leicht Entscheidungen zu treffen, du kannst deine Ideen in die Tat umsetzen und sprühst vor Kreativität.
Ein Ungleichgewicht in der Leber kann die Folge von inneren und äußeren Widerständen (z.B. Stress) sein, die zu Frustration führen und durch Bewegungsmangel und ungünstige Ernährung verstärkt werden.

Die Energie, also der Tatendrang bleibt weiterhin erhalten, und prallt mit voller Wucht auf den inneren oder äußeren Widerstand. Was nun passiert, ist spannend, denn Wut kann sich in verschiedene Richtungen bewegen. Hier können wir auch parallelen zur Nervensystem-Reaktion feststellen.
Diese inneren oder äußeren Widerstände zeigen sich im Kern als nicht erfüllte Bedürfnisse, die zu Frustration, Wut oder schlimmstenfalls zu Resignation und Rückzug führen.
Die Sicht der Wut aus Bedürfnis- und Gefühlsebene
Bedürfnisse sind, anders als Wünsche, essenenzieller Natur und deshalb ein wichtiger Bestandteil für ein Leben im inneren Einklang. Werden (körperliche oder emotionale) Bedürfnisse dauerhaft übergangen oder unterdrückt, reagiert der Körper mit Stress: das Immunsystem wird herunter gefahren, das Risiko für Herzerkrankungen und Bluthochdruck steigt, Magen-Darm-Probleme treten gehäuft auf – der Körper wird krank.

Die emotionalen Kernbedürfnisse, die für dein Wohlbefinden und authentische Verbindung wichtig sind:
Das Bedürfnis nach Kontakt: Die Fähigkeit, in Kontakt mit unserem Körper und Emotionen zu sein, aber auch in Verbindung mit anderen zu sein
Das Bedürfnis nach Einstimmung:Die Fähigkeit, sich auf die eigenen Bedürfnisse und Emotionen einzustellen. Aber auch emotionale und physische Nähe zu erkennen und zu zulassen.
Das Bedürfnis nach Vertrauen: Die Fähigkeit, ein gesundes Vertrauen in andere zu haben und eine gesunde gegenseitige Abhängigkeit zuzulassen
Das Bedürfnis nach Autonomie: Die Fähigkeit, angemessene Grenzen zu setzen, ohne emotionale Reaktionen von Angst, Schuld oder Scham. Aber auch die Fähigkeit seine eigen Stärken und Skills selbstbewusst zu zeigen.
Das Bedürfnis nach Liebe und Sexualität: Die Fähigkeit, liebevolle Beziehungen und eine lebendige Sexualität zu verbinden. Aber auch, sich selbst in einer Verbindung gesehen fühlen, ohne Angst verurteilt zu werden.
Erfahren wir in der Kindheit immer wieder, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, reagieren wir zunächst mit Protest und Wut (Nervensystem-State Kampf). Erleben wir, dass das Bedürfnis immer und immer wieder nicht erfüllt wird, dann folgt Resignation und Ohnmacht (Nervensystem-State Erstarrung).
Oftmals spielen hier die nicht erfüllten Bedürfnisse nach Kontakt, Einstimmung und Autonomie mit rein:
Unerfülltes Bedürfnis nach Kontakt & Einstimmung ➔ wahrgenommen als Ablehnung und Zurückweisung bzw. nicht gesehen werden ➔ führt zu Rückzug, Erstarrung und Scham – »Ich bin falsch«
Unerfülltes Bedürfnis nach Autonomie, Freiheit und Eigenständigkeit ➔ wahrgenommen als Grenzüberschreitung und (emotionale) Bedrohung ➔ führt zu inneren Unsicherheit – »Ich bin nicht sicher«

Aus dieser erlernten Reaktion erfolgt dann der Zugang zur eigenen Wut. Wurde Wut jedoch als Kind nicht als sicher erlebt, z.B. durch Glaubenssätze wie »Stell dich nicht so an.« oder »Reiß dich mal zusammen.« wird Wut unterdrückt. Dann wird Wut durch ein »sicheres« Gefühl ersetzt: die Trauer. Dann kullern bei Wut die tränen.
In einer anderen erlernten Reaktion wird Wut zur Standardemotion. Auf jedes Ereignis wird grundsätzlich wütend und mit Protest reagiert. Ganz egal, ob es sich um eine »angemessene« Reaktion handelt oder nicht. Der Zugang zur Wut ist über präsent.
4 Tipps zum Umgang mit Wut und Zugang zur Wut
Hier kommen 5 Tipps, um einen Zugang zu Wut zu kultivieren und dich selbst darin halten und darauf angemessen reagieren zu können.
1. Bring deine Wut in Bewegung
Damit meine ich nicht das extreme Ausleben durch aufs Kissen schlagen, denn dass kann für dich dysregulierend wirken, wenn du nicht gelernt hast, das Wut für dich sicher ist. Sondern vielmehr die sanfte Bewegung wie Qi Gong, Tai Chi oder Yoga. Dabei spielt es keine Rolle, ob du bereits Zugang zu deiner Wut hast, oder sie (noch) gegen dich selbst richtest. Werde zum Beobachter deines Körpers und komm in sanfte Bewegung.
Die wirkungsvollste Form ist die Bewegung im Grünen, da der Leber und Gallenblase die Farbe Grün zu geordnet ist, wirkt ein Spaziergang in der Natur doppelt erholsam: Gleichzeitig wird durch das Hin- und Herschauen und die schaukelnde Bewegung dein Gehirn und Körper bilateral stimuliert.
2. Schütteln
Bei (angestauter) Wut ist die Muskelspannung erhöht, vor allem im Oberkörper und den Schultern. Durch Schütteln und Zittern fällt Anspannung aus den Muskeln ab und gleichzeitig werden die Meridiane mit Energie geflutet. Schütteln wirkt entspannend auf Muskeln und Sehnen. Löst Härte und Verspannung im Körper und lässt zeitgleich in die Energie fließen. Es öffnet Meridianpunkte und weckt das Bewusstsein innerhalb der Zellen.
So geht's: Stell dich auf deine Zehen und sorge für einen sicheren Stand. Lass dich dann in Fersen fallen, ohne zu stark auf dem Boden aufzukommen. Komm nun in eine schwingende Bewegung von deinen Füßen, den Knien bis in den Oberkörper. Nimm deine Arme und Hände mit und schüttel alte Energie aus deinem Körper. Bleib hier für ein paar Minuten.
3. Akupressur bei Wut
Da Wut über den Leber- und Gallenblasen-Kreislauf verarbeitet wird, hilft hier die lokale Stimulation, um dein Energie-Fluss wieder zu lösen und in Gang zu bringen. Hierbei ist der Akupressur Punkt Leber 03 – »die höchste Flut« zu empfehlen.

Lage: Der Akupressurpunkt liegt in einer Rinne auf dem Fußrücken zwischen dem ersten und zweiten Zehen.
Wirkung: Hilft bei Zorn, Wut, Groll und Stress.
Wenn du mehr über Akupressur und Selbsthilfe lernen möchtest, ist der Akupressur-Guide genau das Richtige für dich.
4. Gesichts- und Augenmassage
Eine Klopfmassage kann hilfreich sein, um das Gesicht bei Wut zu beruhigen, da die Leber in enger Verbindung mit den Augen steht. Wir alle kennen die Zornes Falte an der Stirn, hier liegt ein wichtiger Akupressur Punkt – der Yin Tang.
Eine genaue Anleitung findest du im Video.
4. Wut & Ernährung
Da Wut explorativ ist und nach oben steigt, sind säurehaltige Lebensmittel besonders gut geeignet, dich zu unterstützen. Vor allem Beeren, Ananas, Orangen, Kiwi, Granatapfel, Dill, Petersilie, Kresse, Tomaten, Grünkern, Weißwein und Essig ziehen die Säfte zusammen und sorgen so für Harmonie in Leber und Gallenblase.

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Weitere Infos:
Die verwendeten Quellen
Wissenschaftlich fundierte Arbeit ist mir wichtig. Daher möchte ich die hier verwendeten Quellen nennen:
The Web that has no Weaver
Ted J. Kaptchuck
Befreiung von Scham und Schuld
Lawrence Heller & Angelika Doerne
Selbsthilfe nach der TCM bei einer Leber-Qi-Stagnation
Karin Wallnöfer